Kartoffelgeschichte und -Geschichten

8. Wann, wie und durch wen kam die Kartoffel nach Europa?

Der eine Weg der Kartoffel (ssp. andigena) führte 1565 von Peru über den kolumbianischen Hafen Cartagena nach Sevilla (Spanien) und steht mit der Eroberung des Inkareiches (1531-1533) durch Franzisco P i z a r r o in direktem Zusammenhang (s. Frage 10). Der andere Weg wird mit dem "Piraten der englischen Königin", Francis D r a k e (1540-96), in Verbindung gebracht. Der englische Gelehrte Thomas H a r r i o t (1560-1621) kehrte 1586 von seiner langen Forschungsreise durch das nordamerikanische Virginia auf einem Schiff der Flotte Drakes, das von der Karibikküste des heutigen Kolumbien, aus dem Hafen von Cartagena, kam, nach England zurück. Das Schiff war vollbeladen mit Pflanzensammlungen aus Süd- und Nordamerika. So entstand die Legende, Drake habe die Kartoffel in Virginia entdeckt. Englische Auswanderer haben später einige dieser offenbar aus den peruanischen Anden stammenden Kartoffelknollen von England auf die Bermuda-Inseln mitgenommen. Von dort gelangte die Kartoffel nach Virginia, wie überhaupt erst über diesen Umweg nach Nordamerika.

Die hellbraunen Knollen, die Harriot aus Virginia mitbrachte, waren Süßkartoffeln (Batate, Ipomoea batatas)! Durch diesen Irrtum wurde Drake zum Begründer des europäischen Kartoffelanbaus erklärt, dem man Gedichte und Lieder widmete und Denkmäler setzte (s. Kap. 9: Kunst, Frage 157). Erst Redcliff Salaman stellte 1949 in seinem Buch "Geschichte der Kartoffel" diesen Irrtum richtig. Mit Hinweis auf die Erkenntnisse der Pflanzengeographie belegte er, dass die Heimat der Kartoffel im heutigen Peru lag, von wo aus die Knollen zum Schiffsproviant der Seefahrer wurden, die vor den südamerikanischen Küsten segelten. Auf diese Weise sind sie wohl auch mehr zufällig nach England gekommen.

Der Pflanzengeograph Hans Brücher hat 1975 nachgewiesen, dass der englische Sklavenhändler John Hawkins, mit dem Drake befreundet war, 1586 weißfleischige gelbschalige Kartoffeln (ssp. andigena) mit weißen und violetten Blüten aus Santa Fé im östlichen Venezuela von der Karibikküste nach England gebracht hat. Man nahm die Kartoffeln von dort als Schiffsproviant für die Rückreise mit, und Drake, der sein havariertes Schiff in Südamerika zurücklassen musste, segelte auf Hawkins Sklavenschiff mit. Hier wird er die Kartoffel als Knolle dann wohl kennengelernt haben. Man kann aber nicht sagen, dass er die Kartoffel nach Europa gebracht hat, denn der Verzehr von Knollen auf dem Sklavenschiff blieb ohne Folgen und die angebliche Einführung der "Virginia potatoes" erwies sich als Irrtum (s. oben).

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts gelangten auch chilenische Kartoffeln (ssp. tuberosum) nach Europa, die aufgrund des höheren südlichen Breitengrades ihrer Herkunft besser an die europäische Tageslänge angepasst waren (s. Frage 12). Erst diese frühreife und auch schmackhaftere Kartoffel aus Chile wurde das Hunger stillende Nahrungsmittel für das Volk. Sie war "für den gemeinen Mann Brot, Fleisch und Gemüse zugleich".

Chile und hier die im Süden der südamerikanischen Küste vorgelagerte Insel Chiloé sind aber kein primäres Genzentrum der Kartoffel. Seit der spanischen Kolonisation im 16. Jahrhundert gab es enge Handelsbeziehungen zwischen Chiloé und der peruanischen Hafenstadt Callao mehr als 3000 km nördlich. Die Spanier beuteten den Holzreichtum der Insel für den Schiffsbau aus. Die peruanischen Holzfäller brachten mit ihren Nahrungsmitteln auch Andenkartoffeln mit. Infolgedessen entwickelte sich auf Chiloé ein kleines "sekundäres Mannigfaltigkeitsgebiet". Im Laufe der Zeit selektierten die einheimischen Indios und die Nachfahren der spanischen Holzfäller besser an den Langtag der Südhalbkugel angepasste Formen, aus denen offenbar auch die ssp. tuberosum hervorgegangen ist.



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