Die Kartoffel als Genussmittel und Heilpflanze

3. Wie kann man den Kartoffelgeschmack beschreiben?

Beim Essen werden unsere Sinne durch Geschmack, Farbe und Geruch, kurz, durch das Aroma, gereizt. Der französische Schriftsteller Anthelme B r i l l a t - S a v a r i n (1755-1826) hat in seinem Werk "Physiologie des Geschmacks" festgestellt: "Da aber bis jetzt der Fall noch nicht vorgekommen ist, wo man einen Geschmack mit mathematischer Genauigkeit hätte bestimmen müssen, behilft man sich mit einer kleinen Zahl allgemeiner Ausdrücke, wie mild, süß, sauer, herb, und ähnliches mehr, welche man im Grunde auf zwei Kategorien zurückführen kann: angenehm und unangenehm." Diese Erkenntnis trifft auch für den Kartoffelgeschmack zu. Kartoffeln sollen "würzig und ausdrucksvoll" schmecken, eben "typisch kartoffelig". Verschiedene Fruchtsäuren, die auch in Äpfeln enthalten sind, tragen zu einem angenehmen Kartoffelgeschmack bei (s. Frage 6). Genauso, wie man die Geschmackseigenschaften süß und sauer leicht unterscheiden kann, so kann jeder, der noch seine rund 9000 Geschmackszellen im Mund beieinander hat, feststellen, ob eine gekochte und gepellte Kartoffel fad, kräftig oder eben "kartoffelig" schmeckt. Speisesorten dürfen im Geschmack die Noten 1 bis 5 haben, ab Note 6 werden sie nicht mehr als Speisesorten anerkannt. Die meisten deutschen Speise-Kartoffelsorten liegen im Geschmacksnotenbereich 2 bis 4, was sehr geringe bis geringe bis mittlere Geschmacksmängel bedeutet. Nach einem solchen "Geschmackskatalog" von Kartoffelsorten, den ein verstorbener Kartoffelzüchter verfasst hat, lässt der Schriftsteller Uwe Timm in seinem Roman "Johannisfeuer" (Kap. 9, Frage 24) den Romanhelden suchen.
Auch Duft, Konsistenz und Farbe der Kartoffel, die Nase, Zunge und Augen registrieren, wirken sich auf die Geschmacksempfindung aus. Die Schmackhaftigkeit eines Kartoffelgerichts hängt nicht zuletzt mit der thermischen Wahrnehmung zusammen, d.h., Salzkartoffeln, die kalt geworden sind, schmecken nicht mehr, weil die leichtflüchtigen Geschmacks- und Aromastoffe "verduftet" sind (s. Kapitel 3, Fragen 16 und 17).

Das Essvergnügen lässt sich nie auf eine einzige Ursache zurückführen. "Die Augen essen mit", sagt man und meint damit, dass eine wohlgefällige Farbe der Speisen den Appetit anregt. So regt das Zartrosa des Fleisches genauso den Appetit an wie die vollgelbe Farbe des Eidotters oder die gelbe Farbe des Kartoffelfleisches. Hierbei spielen Gewohnheit und Konvention eine große Rolle. Während in Deutschland eine sattgelbe Farbe des Knollenfleisches bevorzugt wird, verzehren die osteuropäischen und angelsächsischen Völker mit Vorliebe weißfleischige Kartoffeln. Die 1900 durch den Züchter Modrow entstandene wohlschmeckende gelbfleischige Sorte Industrie hat in Deutschland einen Wandel der Eßgewohnheiten herbeigeführt. Aber schon vor der Krautfäule-Katastrophe von 1845 (s. Kapitel 1) gab es gelbfleischige Kartoffelsorten, die "beim Kochen ein wahres Wunder an Geschmack waren, so dass ein Sprichwort besagte, dass man Säuglinge mit dieser Sorte [Eldagser] entwöhnen könne. Beim Essen konnte man sie mit dem Löffel lang ziehen." Die guten Geschmacks- und Kocheigenschaften dieser Sorten wurden mit der gelben Fleischfarbe in Verbindung gebracht; seitdem gilt Gelbfleischigkeit als Zeichen guter Speiseeignung. In den skandinavischen und mediterranen Ländern hat man eine Vorliebe für rotschalige Kartoffeln, in Frankreich findet man auf Wochenmärkten häufig auch blaufleischige Kartoffeln (s. Frage 5).
Eine zerfallene Kartoffel auf dem Teller ist ein wenig schöner Anblick, auch eine zu feste, beim Zerdrücken speckig wirkende Kartoffel steigert nicht gerade die Vorfreude auf den Kartoffelgenuss. Also muss eine gekochte Kartoffelknolle neben gutem Kartoffelgeschmack und gelber Farbe auch die richtige Tellerkonsistenz haben. Daher werden Speisesorten in Kochtypen unterteilt (s. Kap. 5, Frage 10). Rund 75 % unserer Sorten sind "vorwiegend festkochend" und können von ihrer Konsistenz her universell verwendet werden. Die "festkochenden" Sorten sind für Kartoffelsalat geeignet; man nennt sie daher auch "Salatsorten". Die "mehlig kochenden" Sorten finden für Kartoffelbrei Verwendung. Sie haben durchweg gute Geschmackseigenschaften, da Geschmacks- und Aromastoffe an die Stärke gebunden sind, von der die mehligen Kartoffeln mehr haben als die wasserreicheren festkochenden Sorten.
Beim Kochen und Braten entsteigen Kochtopf und Pfanne aromatische Düfte, die sich durch den Prozess des Kochens aus der Kartoffelknolle lösen (Methional) oder sich durch den Bratprozess erst bilden (Methylpyrazin). Auf jeden Fall haben diese Stoffe in der Küchenabluft nichts zu suchen, weshalb man die gekochten Kartoffeln erst auf dem Tisch abdampfen lässt, damit das Kartoffelfleisch locker und trocken wird. So bekommt jeder bei Tisch durch das dampfende Kartoffelaroma den richtigen Vorgeschmack auf den Kartoffelgenuss.



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